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Die meisten wissen, dass ich kein guter Sänger bin und mich deshalb mit dem Gesang ein wenig zurückhalte. Es gab allerdings eine Zeit, da meinte ich, ein guter Sänger zu sein. Da muss ich 6 oder 7 Jahre alt gewesen sein. Meine ältere Schwester war nicht dieser Ansicht, meine wohlgesonnen Eltern waren es. Wer hatte Recht? Ein Versuch vor neutralem Publikum musste also her. Und der fand bei einer Spielkameradin statt, deren Eltern ein Altenheim betrieben, auf dessen weitläufigen Grundstück wir spielten.

Wir zogen um das Heim und ich sang. Fenster gingen auf, man klatschte. Eine ältere Dame warf uns eine Tafel Schokolade zu, eine andere ein Einmarkstück, sauber in Papier eingefaltet, dazu gab es von anderen einige Zehnpfennigmünzen. Für uns war das damals eine hohe Gage für ein wenig Gesang. Wobei ich heute denke, dass meine Schwester trotzdem Recht hatte und meine Sangeskunst höchstens mittelmäßig war. Aber heute sehe ich in der ganzen Sache noch eine andere Gage, von der wir Kinder nichts ahnten und die Alten wohl auch nicht.

Diese Gage war die Freude, die wir und die Alten hatten. Sie war ein Geschenk Gottes, das ein unbeholfenes Kinderspiel in einen Moment des Glücks für alle Seiten verwandelt hatte. Ich glaube, wenn wir die Augen offen halten, werden wir immer wieder solche Geschenke Gottes in unserem Leben entdecken können, die eine unscheinbare Situation in einen Glücksmoment verwandeln können. Auch das ist dann wie eine hohe Gage, die wir für unser Leben erhalten.

H. Wensch, April 2020

 

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