Er war ein Handlungsreisender, der jährlich in den Wintermonaten seine Stammkundschaft besuchte. Seine Ware bestand aus Tischdecken, Bettwäsche und Küchenmessern. Also lauter Dingen, die man auch woanders und wahrscheinlicher günstiger hätte kaufen können. Aber der Handlungsreisende brachte neben seiner Ware etwas mit, das heute rar geworden ist, nämlich Zeit.
Während er seine Ware anbot, ließ er Raum zum Erzählen und steuerte selbst gern das eine oder andere Erlebnis aus seinen Reisen bei. Meine Schwiegermutter fieberte deshalb seinem jährlichen Besuch regelrecht entgegen. „Der Mann ist ein Labsal für die Seele“, sagte sie einmal nach seinem Besuch. „Labsal“, bisher kannte ich den Begriff nur aus alten Büchern oder Märchen. Dort beschreibt er etwas, das erfrischt, also z.B. Wasser. Im Zusammenhang mit Seele kannte ich den Begriff „Labsal“ bisher nicht. Aber es gibt sie tatsächlich, diese Erfrischung für die Seele.
In der Offenbarung steht: Gott spricht: Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst. (Offb. 21, 6). Dieses lebendige Wasser, das Gott uns täglich schenken will mit seinem Wort, mit seinem Trost und mit seiner Liebe ist tatsächlich wie ein Labsal, wie eine Erfrischung für unsere Seele. Und das Gute ist, diese Erfrischung kostet im Gegensatz zur Ware des Handlungsreisenden nichts. Wir müssen auch kein ganzes Jahr darauf warten, sondern wir können uns täglich an Gott wenden, wenn unsere Seele sich matt und müde fühlt. Und dann wird er sie erfrischen mit neuem Mut und neuer Zuversicht. Welch ein Labsal für die Seele ist das doch.
H. Wensch, Mai 2020
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