Das Abteil war fast leer, als eine Mutter mit einem vielleicht vier Jahre alten Mädchen zustieg. Während die Mutter sich setzte, nutzte das Mädchen den freien Raum in der Bahn, um zu spielen. Als der Zug anfuhr, stemmte es sich der Beschleunigungsrichtung entgegen und lief lächelnd gegen die Fliehkräfte an, die es nach hinten zogen. Ein paar zügig durchgefahrene Kurven glich es freudig mit geschickten Armbewegungen aus. Voller Stolz über die eigene Geschicklichkeit sah das Mädchen zu seiner Mutter. Dann war es wieder eifrig damit beschäftigt, die Bewegung des Zuges auszugleichen. Es war eine Freude, ihr dabei zu zusehen. Doch dann machten zwei scharf genommene Kurven und eine Bremsung dem fröhlichen Spiel ein jähes Ende und das Mädchen landete unsanft auf dem Boden. Es unterdrückte mühsam seine Tränen und setzte sich still zu seiner Mutter, die tröstend den Arm um das Mädchen legte.
Heute erscheint mir diese Beobachtung wie ein Bild für unser Leben. Gott hat uns alle Freiheiten gelassen, um uns auszuprobieren. Er hat uns unsere Geschicklichkeit und unsere Klugheit gegeben, damit uns das Leben nicht so leicht aus der Bahn werfen kann. Und mit Recht dürfen wir uns, wie das kleine Mädchen darüber freuen und stolz darauf sein, wenn uns etwas gelingt. Gleichzeitig dürfen wir aber darauf vertrauen, dass Gott für uns da ist, dass wir Schutz und Nähe bei ihm finden, wenn wir mal das Gleichgewicht verlieren. Das ist ein schöner und tröstlicher Gedanke. Zu Gott dürfen wir wie das Mädchen zu seiner Mutter kommen und dann können wir bei ihm in allen Turbolenzen, die unser Leben so mit sich bringt, Trost und Ruhe finden.
H. Wensch, Juli 2020
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